Johann Joseph FUX
Oratorium germanicum de Passione

 

Werkinformation:

Im Laufe seines langen Lebens schrieb Johann Joseph Fux für alle damals üblichen Gattungen: Kirchenmusik, Opern, Orchester- und Kammermusik, sowie etliche Werke für Tasteninstrumente. Unter seinen Kompositionen finden sich nachweislich 13 Oratorien, von denen das erste bekannte, Santa Dimpna, in das Jahr 1702 datiert. Sie sind allesamt auf italienische Texte komponiert und vielfach sogenannte Sepolcri, eine österreichische Sonderform von Passionsoratorien, die in der Hofburgkapelle zur Aufführung kamen. Eine Ausnahme bildet lediglich das hier eingespielte und lange Zeit verschollen geglaubte Oratorium germanicum de Passione, das als Fux’ letztes Oratorium und einziges in deutscher Sprache gilt.

In seiner Musikgeschichte des Stiftes Kremsmünster wies Altman Kellner erstmals auf dieses verloren gegangene Werk hin, welches im Stift um 1740 aufgeführt wurde, von dem sich aber nur das handschriftliche Textbuch erhalten hat. Dank der im Libretto genannten Rollenverteilung – angeführt sind Perseo, Cassiope, Andromede, Nemesis und Furor – gelang es dem Autor dieser Zeilen 2004 im bayerischen Benediktinerstift Ottobeuren eine Komposition ausfindig zu machen, welche die selben Gesangsrollen aufweist. Schon ein oberflächlicher Vergleich der beiden Titelblätter zeigte, dass die Ottobeurener Komposition den selben Text wie jene in Kremsmünster vertont. Als Autor des hier vollständig erhaltenen Werkes wird jedoch Antonio Caldara (1671–1736), damals Vize-Hofkapellmeister unter Karl VI., genannt. Eine Durchsicht beider Libretti ergab, dass die Texte bis auf minimale Differenzen vollständig identisch sind. Im Rahmen einer eingehenden Untersuchung konnte weiters festgestellt werden, dass die Vertonung der Texte ebenfalls übereinstimmte. Das Titelblatt der in Ottobeuren überlieferten Stimmen wies ursprünglich keine Autorenzuweisung auf – erst in viel späterer Zeit fügte man mit Bleistift „Caldara“ hinzu. Die Kremsmünsterer Quelle nennt jedoch verlässlich „Fux de vienne“, also Johann Joseph Fux, und liefert darüber hinaus noch das Entstehungsjahr der Komposition: 1731. Zieht man nun die dramatischen Schöpfungen von Fux und Caldara heran, die in ebendiesem Jahr entstanden sind, ergibt sich folgendes Bild: Caldara verfasste die Oratorien David und S Elena al Calvario sowie die beiden Bühnenwerke Il Demetrio und Livia. Bei letzterem handelt es sich zudem um eine großdimensionierte Festa teatrale. Fux hingegen schrieb einzig die Festa teatrale Enea negli Elisi (K 318). Mit ihr schien er einen Schlusspunkt in seinem dramatischen Schaffen gesetzt zu haben. War Caldara, der kompositorisch ausgelastet gewesen sein dürfte, 1731 noch in der Lage ein weiteres Oratorium zu verfassen? Für Fux wäre dies, trotz seiner immer wieder kehrenden Gelenkserkrankungen, sicher eher möglich gewesen. Dank dieser Erkenntnisse und auch diverser stilistischer Merkmale kann an einer Autorschaft Fux’ heute nicht mehr zu zweifeln sein.

Der Text des Oratoriums, der aus der Feder des in Wien tätigen Dichters Heinrich Rademin (1674–1731) stammen könnte verwendet das bekannte antike Märchen von Andromeda und Perseus (Apollodor, Mythologische Bibliothek II, 42–44) als Allegorie auf die Leidensgeschichte Jesu. Die Schuld der Mutter (Cassiope) hat die Tochter (Andromeda) zu sühnen, welche schließlich von Perseus befreit und zur Frau genommen wird. Verchristlicht bedeutet dies die Vergebung der Erbsünde durch den Tod Jesu Christi, bzw. seine Vermählung mit der menschlichen Seele, worauf im Schlusschor in aller Deutlichkeit Bezug genommen wird: „Alles Trauern, alles Seufzen schlag nunmehro in den Wind / weil dich Christus durch sein Leiden hat versetzet in die Freuden, o beglücktes Evae-Kind.“ Explizit deutet darauf auch die Doppelführung der Namen Perseus und Christus, Cassiope und Genus Humanum bzw. Andromeda und Anima, die Hauptcharaktere des Oratoriums, hin.

Das Ottobeurerner Material weist im Gegensatz zum Kremsmünsterer Textbuch jedoch eine etwas andere Stimmverteilung auf. So wird hier Nemesis von einem Tenor anstelle eines Soprans gesungen, womit die klassische Fünfstimmigkeit (S I, S II, A, T, B anstatt S I, S II, S II, A, B) erreicht wird. Diese Verteilung wird auch in der vorliegenden Einspielung beibehalten, wenngleich eine in Kremsmünster angebotene Textvariante ebenfalls berücksichtigt wird. Material zu einer Aufführung des Oratoriums, die vor 1734 bei den Kreuzherren in Prag stattgefunden hat, gilt gegenwärtig ebenfalls als verschollen.

Deutschsprachige Oratorien galten in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts vergleichsweise noch als Novum. Sie begannen sich erst ab den 1720er-Jahren vor allem im klösterlichen Bereich durchzusetzen. Zu nennen wären hier vor allem Komponisten wie Gregor Joseph Werner (1693–1766), Johann Kaspar Meindl (1698–1742), Georg Reutter d.J. (1708–1772) oder Georg Donberger (1709–1768). Sie alle gehören jedoch der Generation nach Fux an, wodurch sich einmal mehr zeigt, dass letzterer durchaus neuen Strömungen aufgeschlossen gegenüber stand.

Für ein Werk mit reiner Streicherbesetzung ist Fux’ Komposition instrumentationstechnisch äußerst raffiniert angelegt. Schon die düstere Einleitung in c-Moll besticht durch die Verwendung von zwei solistisch geführten Celli und Andromedas Flehen um Gnade („Mit mir Armen tragt Erbarmen“) wirkt durch den gezielten Einsatz scharfer Tutti-Klänge nahezu expressiv. Virtuose Violinpassagen die nur von der Viola gestützt werden finden sich in der Arie des Perseus/Christus („Nicht verzage, meine Freundin“), die dann zum eigentlichen Kernstück des Oratoriums hinführen, zum Duett „Dir zur Liebe kam ich eben“, das nur vom Generalbass und einem solistischen Cello begleitet wird. Tonmalerisches Raffinesse treten in der Arie des Furor („Strick und Ketten“) aber auch in der Arie der Cassiope „Welt und Hölle sind besieget“ zu Tage – letztere schreibt neben der Solo-Violine auch ein Solo-Cello vor. Aber auch die nur vom schlichten Generalbass begleiteten Arien fügen sich perfekt in den dramatischen Aufbau des Werkes. Selbst im schlichten Schlusschor, der immer wieder von Streichereinschüben aufgelockert wird, ist Fux’ kompositorische Meisterschaft in aller Deutlichkeit zu erkennen.

Für eine Aufführung des Oratoriums in Kremsmünster, die möglicherweise einer in Ottobeuren voranging, wurden mit Sicherheit Gymnasiasten, d.h. Knaben, herangezogen. Die Männerstimmen dürften mit älteren Studenten oder Stiftsmusikern besetzt gewesen sein. Erklungen ist das Werk wahrscheinlich in der sogenannte Studentenkapelle (Akademische Kapelle) oder im Museum philosophicum. Beide Lokalitäten verfügen nur über eine begrenzte Fläche, weshalb von einer solistischen Besetzung der Instrumente als auch des finalen „Chors“ ausgegangen werden kann.

Fux’ Oratorium, das wohl als eine der letzten Kompositionen des Meisters angesehen werden darf, steht, wie auch all seine anderen Kompositionen, auf der Höhe der Zeit. Einmal mehr stellt dieses ausgefeilte Werk unter Beweis, dass es sich bei seinem Schöpfer wohl um einen der besten Kontrapunktiker seiner Zeit gehandelt hat.

Klaus Petermayr

Quellen:
Libretto
Österreich, Stift Kremsmünster, A-KR, T 158.
Stimmenmaterial
Deutschland, Ottobeuren, D-OB, MO 354.

Weiterführende Literatur:
Rudolf Flotzinger: Das Oratorium Germanicum de Passione von Johann Joseph Fux. Schritte der Annäherung an Autoren- und Gattungsfragen, in: Festschrift Hellmut Federhofer zum 100. Geburtstag. Mainz 2011, S. 91–105.
Klaus Petermayr: Neue Erkenntnisse zum Oratorium Germanicum (E 61) von Johann Joseph Fux, in: Jahrbuch des RISM-Österreich 2011. Wien 2011, S. 79–92.

 

 

Ars Antiqua Austria, Johann Joseph FuxMusikbeispiel zum Anhören

ARS ANTIQUA AUSTRIA

ENSEMBLE FOR NEW BAROQUE MUSIC
St. Florianer Sängerknaben, direction: Franz Farnberger
Matthias Helm - Furor, bass
Markus Miesenberger - Nemesis (Justitia), tenor
Gunar Letzbor - musical direction
Pan Classics PC 10284 © 2013

 

Symphonia (instrumental)
01. Adagio mp3: 1.93 Mb


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02. Vivace mp3: 1.6 Mb


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Noten gratis herunterladen
(moderne Ausgabe von Christoph Prendl):

Partitur (PDF: 1,06 Mb)
Singstimmen & Basso Continuo (PDF: 656 Kb)
Vereinfachte Schlüsselung der Orgelstimme (PDF: 1,07 Mb)
Violine 1 (PDF: 247 Kb)
Violine 2 (PDF: 187 Kb)
Viola (PDF: 163 Kb)
Cello 1 (PDF: 432 Kb)
Cello 2 (PDF: 98 Kb)
Orgel & Violone (PDF: 426 Kb)


 

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