Benedikt Anton AUFSCHNAITER
Memnon Sacer ab Oriente Sole Animatus

Aufschnaiter, dieser Name klingt auch für einen Österreicher, östlich von Tirol lebend sonderbar. Als ich erstmals die Musik dieses Komponisten hörte, war ich sofort begeistert. Eine hochentwickelte, eigenständige musikalische Sprache mit ausgeprägtem österreichischen Kolorit fesselte meine Sinne. Leidenschaft, Freude, Angst, Verzweiflung, Liebe, Gottesfurcht, Zärtlichkeit, Ausgelassenheit, Unbekümmertheit....- Gefühle des Lebens traten mir in komprimierter musikalischer Form entgegen und trafen meine Seele in nicht oft verspürter Intensität. In Folge hatte ich mich auch intellektuell mit Aufschnaiters Musik auseinandergesetzt und kam aus dem Erstaunen über die unerhörte Meisterschaft im Tonsatz dieses Komponisten nicht heraus. Fein gewobene polyphone Linien verbinden sich beinahe mühelos mit ausdrucksstarken Harmoniefolgen. In ihren homophonen Abschnitten verzaubern Klangfarben und Stimmungen, abwechslungsreich und immer aufs Neue überraschend. Dynamische Kontraste sind ebenso einleuchtend wie notwendig in der Dichte dieses musikalischen Geschehens. Instrumentalstimmen sind absolut instrumentidiomatisch entwickelt, und fordern Virtuosität der Spieler ein. Im Vokalsatz rechnet Aufschnaiter mit dem Standart ausgebildeter Knabenstimmen im Diskant und Alt, opernhafte Wendungen sind ihm dabei eher fremd. Die Linien bleiben immer sehr sanglich, selbst wenn sie sich im kunstvollsten Kontrapunkt vergnügen.

Benedikt Anton Aufschnaiter wurde in Kitzbühel am 21. Februar 1665 geboren. Studien sind für Wien belegt. Er selbst nennt Jakobus Carissimi, Kaspar Kerll und Adam Gumpelzhaimer als seine Lehrer. Nach familiären Schicksalsschlägen wendet sich Aufschnaiter 1705 nach Passau, wo er die Nachfolge des verstorbenen Georg Muffat antritt. Als Hof- und Domkapellmeister hatte er sowohl für Kirchenmusik als auch für Musik zu weltlichen Anlässen zu sorgen. Im Gegensatz zu Muffat konzentrierte er sich eher auf die Kirchenmusik, nur wenige weltliche Werke bezeugen seine speziellen Fähigkeiten auch in diesem Metier. 1742 verstarb Aufschnaiter in Passau, sein Grabstein wurde später verkauft, er ist also nicht mehr auffindbar.

Das Notenmaterial für unsere Aufführung findet sich vollständig im oberösterreichischen Stift Kremsmünster erhalten. Es handelt sich um ein Exemplar der im Jahre 1709 erschienen Vespern “Memnon sacer ab Oriente, op.5”. Der Druck vereinigt 2 vollständige Vespernzyklen, von denen wir den ersten gewählt haben. Natürlich galt es vor dem Musizieren eine Partitur anzufertigen In der Barockzeit bot man in Drucken fast ausschliesslich Stimmenmaterial und keine Partituren an. Das Stimmenmaterial im Falle dieser Vespern ist fast fehlerfrei, wir mussten nur wenige Korrekturen vornehmen.

Anlässlich einer Einführung zu unserer Einspielung der Kirchensonaten Dulcis Fidium Harmoniae, op 4 von 1703 wagte ich vor vielen Jahren Aufschnaiter mit Johann Sebastian Bach zu vergleichen. Ein Aufschrei in mehreren Rezensionen war die Folge.

Mittlerweile haben sich meine Gedanken zu diesem Thema geschärft und ich wage es abermals Aufschnaiter als den katholischen Bach zu bezeichnen.

Beide Meister pflegten einen Kompositionsstil, der eigentlich auf die Musik der Renaissance verweist. In der Polyphonie erreichten beide höchste Meisterschaft. Natürlich überragt Bach den Meister aus Passau als Organist und Komponist für Tasteninstrumente. In der Kirchenmusik gingen beide aber unbeirrt durch Modernismen ihren persönlichen Weg und erreichten, jeder auf seine Art in ihrem Stil den absoluten Gipfel des Möglichen. Die Öffnung der Polyphonie durch die zusätzliche Dimension der Modulation selbst in ferne Tonarten sind ein Hauptmerkmal ihres avantgardistischen Geistes. Beide Komponisten sprengen damit das erstrebte Ebenmass ihrer Vorbilder aus der Rennaissance und verleihen ihrer Musik damit barocke und theatralisch überzeichnende Intensität.

Dass sie dabei zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen kommen, mag auch am Unterschied zwischen katholischer und protestantischer Kultur liegen. Während der, mitteldeutscher Kantoreipraxis entstammende, lutherische Protestant Bach das Wort als zentrales Anliegen seiner Tätigkeit begreift, schöpft der Katholik Aufschnaiter virtuos aus der machtvollen, Jahrhunderte alten Tradition der Vokalpolyphonie und vermittelt so die religiöse Botschaft mit den Mitteln einer entschiedenen Bildhaftigkeit. Bach ist gefordert, neue deutsche Texte religiöser Kontemplation in sprechend kommentierende Musik zu kleiden. Aufschnaiter schafft zu jahrhundertealten unveränderlichen lateinischen Texten, musikalische Gemälde, die wie die ausufernden Malereien in barocken katholischen Kirchen das Heilsgeschehen in der Evozierung eines “himmlischen Jerusalems” zu aller erst gefühlsmäßig erlebbar machen möchten.

Bach hatte das Glück, bereits im 19. Jahrhundert von einer nationale Idendität suchenden Kulturwissenschaft wiederentdeckt worden zu sein.

Die seit der Josefinischen Kirchenreform geschwächte katholischen Kultur vereitelte eine Wiederentdeckung Aufschnaiters im bürgerlichen Milieu des 19. Jahrhunderts.

Im Stift Kremsmünster finden sich noch mehrere Werke Aufschnaiters, so auch seine spätere Vespernsammlung “Cymbalum Davidis, op.8” von 1728.

Oberösterreich gehörte in der Barockzeit zum Bistum Passau und so verwundert es nicht, dass zahlreiche Kompositionen des Passauer Hof- und Domkapellmeister Aufschnaiter in vielen Stiften und Klöstern des „Landes ob der Enns“ erhalten sind und auf ihre Wiederentdeckung warten. Möge unsere Einspielung des ersten Teiles von „Memnon Sacer ab Oriente“ dazu ein erster Anstoss sein!

Gunar Letzbor

 

Ars Antiqua Austria, B. A. AUFSCHNAITER, Memnon Sacer ab OrienteMusikbeispiel zum Anhören:

ARS ANTIQUA AUSTRIA
ENSEMBLE FOR NEW BAROQUE MUSIC
St. Florianer Sängerknaben, Franz Farnberger
Gunar Letzbor, Direction
©2015 Pan Classics PC 10349

 

Dixit Dominus (Psalm 110): * *

 

Ars Antiqua Austria -
beim Festival Oude Muziek Utrecht, 31 august 2014



 


Noten

Besetzung:
"Memnon sacer ab Oriente" op.5
(parts at the monastery Kremsmünster/Upperaustria)
2 sopranos, 2 altos, 2 tenors, 2 basses
2 violins, 2 violas, 4 ripieni, 2 clarini concertati, violon, organo, b.c.

Noten gratis herunterladen
(moderne Ausgabe von Matthias Deger):

Partitur: Pdf (1,66 Mb)
Chorpartitur: Pdf (1 Mb)

Originalstimmen:

Canto
Canto Ripieno
Alto
Alto Ripieno
Tenore
Tenore Ripieno
Basso
Basso Ripieno

Violine 1
Violine 2
Viola 1
Viola 2
Clarino 1, 2
Organo
Violone



Zum Seitenanfang

Gehe zu:

Startseite

 

Komponistenkatalog

 

B.A. Aufschnaiter

 

Archive