Joseph Anton STEFFANN
Divertimenti da cembalo, N 2
Der aus Böhmen stammende Joseph Anton Steffan floh 1741
von den Preußen nach Wien und wurde Schüler von Georg
Christoph Wagenseil. Bald etablierte er sich als
angesehener Cembalo-Virtuose in der Kaiserstadt und
unterrichtete die Töchter der Kaiserin Maria Theresia,
Maria Karolina und Marie Antoinette im Cembalospiel.
Musik des Rokokos
Nach dem Ableben der beiden absolutistischen Herrscher
Kaiser Leopold I (1705) und König Ludwig XIV (1715),
setzte die Kultur in Europa zu einer eher konservativen
Phase an.
Bis zum Tode von Kaiser Karl VI (1740) und in den ersten
Jahrzehnten der Herrschaft König Ludwig XV (1774) gelang
es, die neuen Strömungen der Aufklärung noch halbwegs im
Zaum zu halten. Unaufhaltsam nahm allerdings der Einfluss
der Kirche kontinuierlich ab. Gleichzeitig änderte sich
der Blickwinkel der Gesellschaft. Wissenschaft, Forschung,
Philosophie und Humanismus lösten die Gottesfurcht ab. Der
Mensch trat ins Zentrum des Denkens. War alles bisher auf
Gott hin orientiert, so schweiften jetzt die Gedanken in
unterschiedlichste Richtungen. Verschiedene Meinungen,
unterschiedlichste vermeintlich wissenschaftliche
Erkenntnisse, neue Theorien, diverse Ideen und
Anschauungen standen plötzlich nebeneinander. Dadurch
entstand einerseits eine gewaltige Dynamik, die einzelnen
Gedanken verloren aber andererseits zusehen an Bedeutung,
Tiefgang und Wahrhaftigkeit.
In der Musik gewinnt die weltliche Musik die Oberhand über
die geistliche Musik. Kaiser Karl VI hatte in seinem
Einflussbereich noch stark auf die Bewahrung alter Werte
beim Musizieren geachtet. Polyphonie und kunstvolle
Elaborierung erlebten am Kaiserhof einen späten Höhenflug.
Es spricht aber für sich, dass nach seinem Tod die
Hofkapelle sehr lange aufgelöst blieb und dann nur in sehr
abgespeckter Form wieder ins Leben gerufen wurde. Eine
neue Zeit war angebrochen.
Der Adel und die geistlichen Würdenträger hatten bisher
die Zeremonien an den Höfen der absolutistischen Herrscher
nachgeahmt. Die weltliche Ordnung hatte sich parallel zur
religiösen Ordnung entwickelt. Damals strebte die ganze
Gesellschaft in einer Art Pyramidenform dem alleinigen
Herrscher an der Spitze entgegen. Diese Ordnung wurde als
gottgegeben anerkannt. Jetzt war alles anders. Jeder
Fürst, jeder kleine Regent fühlte sich plötzlich
persönlich wichtig. Es entstanden unzählige kleine und
große Residenzen, die miteinander in Konkurrenz lagen. Für
Musiker war dieser Umstand sehr angenehm. Man hatte
plötzlich unzählige Möglichkeiten, seine Kunst anzubieten.
Die Breitenwirkung der Musik wurde dabei enorm vergrößert,
allerdings nahm notgedrungen auch die durchschnittliche
Qualität der Musikdarbietungen ab. Nicht jede kleine
Hofkapelle konnte einen Meister an ihrer Spitze haben,
nicht jedes Hoforchester konnte mit Virtuosen bestückt
sein. Am Kaiserhof des Barocks wachte der Regent
höchstpersönlich über die Qualität der Musik. Er war auch
musikalisch höchstgebildet und war dadurch ein Garant für
beste musikalische Leistungen. Viele der unzähligen
kleinen „Sonnenkönige“ der neuen Zeit waren zwar
musikalisch gebildet, oft aber auch nur durchschnittlich.
Die Vereinfachung der musikalischen Sprache war die Folge.
Die Musik des Rokokos vereinfacht das musikalische
Konstrukt. Der Melodie wird die absolute Vorherrschaft
eingeräumt. Die Mittelstimmen sind oft nur
harmonisches Füllwerk, die Bassstimme wird ihrer
melodischen Bedeutung beraubt und auf kadenzartige
Harmonisierung verpflichtet. Polyphonie, reichhaltige
Harmonisierung und kunstvolle Stimmführungen treten in den
Hintergrund und werden als antiquisierend verachtet.
Und doch, als Charles Burney in den Siebzigerjahren den
Kontinent durchreist, singt, tönt und zwitschert ihm aus
allen Ecken und Winkeln in Europa Musik entgegen. Die
Kunstmusik hatte sich der Musik des einfachen Volkes
angenähert und umgekehrt. Ich stelle mir ein stilistisches
Durcheinander vor. Die alten gesellschaftlichen und
religiösen Regeln wurden zusehends aufgeweicht.
Vermeintliche Primadonnen, Kastraten und Starsänger
„versüßten“ jeden Gottesdienst mit weltlichen Girlanden.
Virtuose Instrumentalisten spielten auf den Gassen, in
Wirtshäusern und anschließend in Kirchen. Am Hofe
erklangen Lieder des einfachen Volks, während einfache
Gesellschaftsschichten sich der vermehrten
Instrumentalmusik während des Gottesdienstes erfreuten.
Musik wohin man blicken und seine Ohren lenken konnte.
In der Oper wurde die Dramaturgie, die Dichtung und auch
die moralische Bedeutung in den Hintergrund gedrängt. Die
Herrscher der Oper waren die Sänger. Ihnen wurde alles
untergeordnet. Ihre Kunstfertigkeiten mit der Gurgel
begeisterten das noble Publikum. Die Komponisten mussten
wie Sklaven die Möglichkeiten der verschiedenen
Stimmbänder ins beste Licht rücken. Die Spitzensänger
wurden von Hof zu Hof gereicht und wie Popstars behandelt.
Bis 1762 gab es eigentlich keinen Widerstand gegen diese
Entwicklung.
Christoph Willibald Gluck versuchte mit seiner Oper Orfeo
e Euridice am 5. Oktober dieses Jahres in Wien, der
seltsamen Entwicklung Einhalt zu bieten. Der große Erfolg
seines Meisterwerkes brachte für die zukünftige
Entwicklung der Musik entscheidende Neuerungen. Die Anmut
und Natürlichkeit des Gesanges gewann an Bedeutung,
Ausdruck und Rührung waren fortan wichtige Faktoren beim
Musizieren.
In der Instrumentalmusik lassen sich ähnliche
Entwicklungen beobachten. Im Barock waren die
Instrumentalisten noch Vorbilder für die Sänger.
Gesangsvirtuosen imitierten damals die immer virtuoser
aufgeigenden Streicher. Jetzt befand man sich auf
Augenhöhe. Stimmakrobaten und Geigenvirtuosen vollbrachten
beim Musizieren ähnliche Kunststücke. Die
Instrumentalisten äugten jetzt auch schon auf die
Sängerkollegen. Neben den instrumentalen Kunstfertigkeiten
wurde daher auch in der Instrumentalmusik der
ausdrucksvolle und anmutige Gesang stilbildend.
Eine wichtige Auszeichnung für einen Nobelmann am Hofe war
seine lässige Unbekümmertheit, die Leichtigkeit seiner
Erscheinung, die Anmut seiner Bewegungen. Nichts durfte
nach Arbeit oder Anstrengung aussehen. Die Gespräche in
der feinen Gesellschaft waren daher auch eher ohne allzu
großen Tiefgang. Wichtig war es, alles mit Leichtigkeit,
Charme und herablassender Unbekümmertheit zu präsentieren.
Eloquent wurde gewitzelt, wurde Tratsch verbreitet, wurde
scheinbar gelehrt (mit zahlreichen sprachlichen Ornamenten
bereichert) diskutiert oder manchmal auch nur wichtigtuend
etwas Unbedeutendes bedeutungsschwanger in die Runde
geworfen. Positiv, heiter und geistig äußerst wendig
sollte miteinander kommuniziert werden.
In der Musik hatte man sich dieser gesellschaftlichen
Entwicklung angepasst. Die Melodien des Rokokos sind
voller Ornamente, sie strahlen eine unbeirrbare Heiterkeit
aus und erfreuen den Zuhörer durch kleine Überraschungen,
die allerdings oft ohne Bedeutung bleiben. Es ist die
Kunst des Komponisten, Langeweile zu vertreiben und ohne
die Zuhilfenahme von wirklich dramatischen Elementen, die
Aufmerksamkeit der Hörer immer wieder neu zu erregen und
gute, entspannte Unterhaltung zu bieten. Die Oberschicht
des Rokokos hatte genug von den großen Anforderungen der
Religion an Moral, Ernsthaftigkeit, Tiefgang und
Bedeutungsschwere. Man wollte einfach das Leben genießen,
gut unterhalten werden und gleichzeitig den Abstand zum
niederen Volk wahren. Hochkultur ja, aber auf leichten
Füssen!
Kann uns die Musik dieser Zeit heute noch begeistern? Ich
denke ja.
Wir Musiker müssen lernen, den Charakter der Musik dieser
Epoche wiederzufinden. Wir müssen die Musik vorher und
nachher ausgrenzen und die Musik des Rokokos als eigene
Musikrichtung begreifen. Vanhal, Hoffmann, Stefan und
Schröter waren zu ihrer Zeit höchst angesehen und das
nicht zu Unrecht. Jeder von ihnen hat seinen eigenen Stil
entwickelt, jeder hat eine eigene ganz persönliche
Musiksprache gefunden. Wenn wir Musiker diese
Besonderheiten erkennen und in unsere Interpretation
einfließen lassen, werden auch die Zuhörer gut unterhalten
sein und in dieser Musik das finden, was sie ist: Gute
Musik auf leichten Füssen!
Gunar Letzbor
Concerts at the abbey of Schlägl
Ars Antiqua Austria
Gunar Lezbor - violin & direction
Erich Traxler - harpsichord
Challenge Classics
CC72984 | 2025
ANTON STEFFAN
(1726-1797)
Sonata for harpsichord in Eb
IV. Allegro assai: 01:07